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Bericht über das neue Gottesdienstformat “Unterwegs” im Newsletter des Kirchenkreises.

Am letzten Sonntag (24.10.21) haben wir wieder Unterwegs-Gottesdienst gefeiert. Theresa Demski hat das Gottesdienst-Team begleitet, und einen schönen Artikel für den Newsletter des Kirchenkreises Solingen geschrieben, den wir hier mit freundlicher Genehmigung wiedergeben.

Ein Gottesdienst auf Bestellung im Vorgarten

Im kleinen Kreis unter freiem Himmel: Die Evangelische Kirchengemeinde Widdert macht sich auf den Weg zu den Menschen – und bietet Gottesdienste im Vorgarten an. Ein Besuch.

Gruppenbild mit Ape: Bente Lettmann, Petra Surges und Manuel Füsgen (v.l.) mit dem Widderter Gemeindetransporter (Foto: Theresa Demski)
Gruppenbild mit Ape: Bente Lettmann, Petra Surges und Manuel Füsgen (v.l.) mit dem Widderter Gemeindetransporter (Foto: Theresa Demski)

Bente Lettmann zieht sich die Jacke etwas enger um die Schultern. „Kalt geworden“, sagt die junge Presbyterin der Evangelischen Kirchengemeinde Widdert. Gemeinsam mit Kirchenmusiker Manuel Füsgen und Presbyter-Kollegin Petra Surges steht sie in der Herbstsonne vor der Kirche. Die Glocken bleiben an diesem Sonntagmorgen allerdings still, die Kirchtüre bleibt geschlossen. „Wir sind unterwegs“, sagt Bente Lettmann und lacht – fröhlich und ein bisschen erwartungsfroh. Und dann machen sich die Drei auf den Weg. Es sind nur ein paar Meter, einmal um die Häuserecke, dann entdecken sie auf der Straße ein junges Paar und eine Mutter mit ihren beiden Kindern. Gleichzeitig biegt Richard Ritterbusch mit der Ape der Gemeinde um die Ecke. Für den leuchtendgelben dreirädrigen Piaggio-Kleintransporter sucht er sich schnell einen Parkplatz. „Sind wir bei euch richtig?“ fragt Bente Lettmann. Und es folgt ein herzliches Willkommen in der Auffahrt vor dem Haus. Rebecca Rothhamel und Arne Wiebenga haben sich an diesem Sonntagmorgen einen „Vorgartengottesdienst“ bestellt, den die Evangelische Kirchengemeinde Widdert den Menschen im Viertel seit einigen Wochen anbietet.

Kirche unterwegs

„Wir sind als Kirche unterwegs“, erklärt Pfarrerin Kristina Ziegenbalg das Konzept, „und weil wir Menschenmassen im Moment noch vermeiden wollen, laden wir zu Vorgartengottesdiensten ein. Ganz coronakonform.“ Familien können sich bei der Gemeinde anmelden, bei Interesse einen zweiten Haushalt dazuholen und dann den Gottesdienst am Sonntagmorgen vor ihrer eigenen Haustüre feiern. Das Angebot werde bisher ganz gut angenommen – von Familien der Konfirmanden, von Senioren, von jungen Paaren.

Als Rebecca Rothhamel und Arne Wiebenga von dem Angebot hörten, nahmen sie Kontakt auf. Vor anderthalb Jahren seien sie gemeinsam nach Widdert gezogen und längst hätten sie gerne das Gemeindeleben kennengelernt. „Die Verbindung zur Gemeinde ist uns wichtig“, sagen beide. Aber die Corona-Pandemie machte ihnen und der Gemeinde einen Strich durch die Rechnung. „Jetzt haben wir die Gelegenheit genutzt“, sagt Arne Wiebenga und freut sich über den Kontakt, den sie an diesem Vormittag knüpfen.

Ehrenamtliches Gottesdienstangebot

Die beiden Gastgeber haben Campingstühle in der Auffahrt aufgestellt, die Nachbarin mit ihren Kindern zum Gottesdienst eingeladen und Tee gekocht. Als Manuel Füsgen auf seiner Gitarre ein leises Vorspiel anstimmt, stimmt die kleine Nachbarstochter bereits tanzend in die Melodien ein. „Schön, dass wir hier sind“, sagt Bente Lettmann dann lachend und stellt das Team vor. Das Konzept „Erprobungsräume“ sehe es vor, Ehrenamtliche stärker einzubinden, erklärt sie. Deswegen seien bei den Gottesdiensten im Vorgarten immer andere Teams im Einsatz. Jeder bringt seine Begabungen ein. Manuel Füsgen sorgt heute für die Musik, Bente Lettmann für den Impuls und Petra Surges übernimmt den liturgischen Teil. Die kleine, feierliche Andacht neben der gelben Ape und der Lichterlaterne will ermutigen und für die Woche stärken, das merken die Gastgeber schnell. Heute geht es um das Thema Danken. „Wenn wir Gott danken, dann signalisieren wir ihm, dass uns etwas an der Beziehung mit ihm liegt“, sagt Bente Lettmann, „und gleichzeitig rüttelt uns der Dank selber auf.“ Sie erinnert an das Volk Israel in der Wüste, das sich schimpfend über seine Not beklagt. „Da musste Mose ihnen erstmal die Augen öffnen“, erinnert sie, „und so verlieren wir wohl auch manchmal den Blick dafür, was Gott uns schenkt.“ Um sich im Alltag an all die geschenkten Momente besser zu erinnert, übergibt sie den Gastgebern und auch der kleinen Bente und ihrer Munter am Ende jeweils drei Murmeln: „Die kommen in die Hosentasche“, erklärt Bente Lettmann, „und immer, wenn ihr am Tag etwas Schönes erlebt, dann wechselt eine Murmel die Hosentasche. Abends könnt ihr euch dann gemeinsam an diese Momente erinnern.“

Rebecca Rothhamel und Arne Wiebenga freuen sich über das kleine Geschenk. „So ein besonderer Sonntagmorgen und so eine schöne Andacht“, sagt sie. Und dann wechselt bereits eine erste Murmel die Hosentasche. „Das war heute Morgen eindeutig ein Besuch, für den wir dankbar sind“, sagen die beiden.

INFO
Die Evangelische Kirchengemeinde Widdert ist mit ihrem besonderen Ehrenamtlichenkonzept seit Juni 2020 einer der mittlerweile 18 so genannten Erprobungsräume der Evangelischen Kirche im Rheinland. Hier sollen Erfahrungen mit kreativen neuen Kirchenformen gesammelt, ausgewertet und zur Nachahmung aufbereitet werden.

Theresa Demski

28.10.2021

Hier geht es zum Artikel auf der Seite des Kirchenkreises Solingen

Das erste Jahr

Wow! Jetzt ist es schon ein Jahr her, dass uns die gute Nachricht erreichte: Unsere Kirchengemeinde Widdert ist mit dem Konzept „Aufgeschlossen“ für die nächsten Jahre ein Erprobungsraum.

Und trotz Corona war von Anfang an viel Energie da, vor allem bei unseren 9 Teamleiter*innen, die als Leitungsgremium das Projekt weiterentwickeln, durchdenken und mit Energie versorgen. Im Jahr 2020 wöchentlich, seit Januar alle zwei Wochen treffen wir uns per Zoom und überlegen, was wir brauchen, um viele Menschen zu begeistern, Kontakt zu verschiedensten Leuten vor Ort und außerhalb zu bekommen, ihnen zuzuhören und Gestaltungsspielräume zu eröffnen.

Wir haben eine Ape, ein winziges dreirädriges Fahrzeug gekauft, repariert und lassen es gerade sonnengelb lackieren. Damit wollen wir ab Spätsommer unterwegs sein in der Stadt, mit kurzen, frischen Gottesdienstangeboten, aber auch mit ´nem Kaffee und Zeit für Gespräche.

Corona hat uns dazu gebracht, andere digitale und analoge Formate zu entwickeln, in denen Menschen von ihrem Glauben erzählen, sich ausprobieren und wachsen können. Ein Gottesdienstworkshop gehörte dazu, aber auch die Reihe „5 Fragen“, in der jede*r Fragen zu Gott einbringen konnte.

Junge Leute unter 30 haben wir gefragt, was ihnen an Kirche wichtig ist (dazu gab es Plakate bei Facebook, Instagram und hier auf der Homepage), zwei junge Frauen bekommen vorrausichtlich bald Verantwortung als Presbyterinnen. Das Durchschnittsalter sinkt damit auf 35.

Im Kirchraum ist alles dafür vorbereitet, dass dort bald das Alltags-Leben einziehen kann, es darf auch dort übernachtet werden, um Gott und die Kirche mal anders zu erleben.

Viermal hat das „Gemeindeatelier“ getagt, ein neues Leitbild entwickelt und einige tolle Ideen, die hoffentlich ab Herbst umgesetzt werden können.-Bei allem trägt uns der Gedanke, dass viel probiert werden darf, aber auch Scheitern keine Katastrophe ist. Dann geht es eben neu und anders weiter. Gott wird schon dabei sein.

Und wir merken: Da sind neben vielen konkreten Ideen auch die „großen“ Fragen nach Amt, Hierarchien und Kommunikation, Sprache und Milieus, Mitgliederorientierung und Haltung.

Wir wollen nicht nur vieles anders machen, sondern Kirche neu denken. – Und sind sehr gespannt, wie es weitergeht!

Platz für neue Ideen mitten in der Kirche

Zwei Initiativen aus Widdert und Rupelrath wurden jetzt von der Evangelischen Kirche im Rheinland als so genannte „Erprobungsräume“ ausgewählt. Damit fördert die Landeskirche beispielgebende innovative Projekte. Die Evangelische Kirchengemeinde Widdert möchte in Zukunft noch mehr auf Ehrenamtliche setzen. Ganz eigenständig sollen sie dort künftig neue experimentelle Gottesdienstformen und Veranstaltungsformate gestalten und verantworten. Aufgabe der Widderter Pfarrerin Kristina Ziegenbalg wird es zukünftig weniger sein, Veranstaltungen und Gottesdienste durchzuführen, sondern vor allem ehrenamtliche Menschen zu begleiten, die mit ihrem Glauben und eigenen Veranstaltungsideen die Widderter Kirche mit Leben füllen.

Das im letzten Jahr innen renovierte Kirchengebäude mit dem neugestalteten Kirchraum, der neuen Jugendempore, einem einladenden Gemeindesaal und einer modernen Küche soll so zu einem offenen Ort werden, an dem sich Menschen aus allen Generationen begegnen. „Wir möchten mit unserem Projekt Menschen erreichen, die eine tragfähige Gemeinschaft suchen“, erklärt Pfarrerin Kristina Ziegenbalg, „die sich gerne aktiv einbringen, statt zu konsumieren, und lebensnahe, moderne Formen des Glaubens mitgestalten möchten. Wenn unser Projekt gelingt, wird die Widderter Gemeinde in Zukunft nicht mehr von wenigen, sondern
von vielen gestaltet.“

Die Widderter Gemeinde will damit ihren Weg konsequent weiter gehen, den sie schon in den vergangenen Jahren beschritten hatte. Bereits jetzt erfolgen unter anderem Jugendarbeit, Küsterdienst und Kirchenmusik
immer stärker ehrenamtlich. Die Begleitung, Ermutigung und Förderung von ehrenamtlichen Gottesdienstund Veranstaltungsteams macht bereits jetzt einen großen Teil der Arbeitszeit der Widderter Pfarrerin aus.
Das soll zukünftig noch mehr werden. Dabei zieht das moderne und mutige Gottesdienstkonzept schon heute viele Menschen an, die nicht in Widdert wohnen. Die Evangelische Kirche im Rheinland fördert das Widderter Projekt als Erprobungsraum für die Jahre 2020 bis 2024 mit insgesamt 125.000 Euro. Mit dem Geld soll die Gemeinde in ihrem Vorhaben gefördert werden „ehrenamtlich verantwortete Ortsgemeinde mit geringer pastoraler Versorgung zu werden“, heißt es in dem Förderungsbescheid der Landeskirche. Die Förderung, so Pfarrerin Ziegenbalg, helfe der Gemeinde dabei, Ehrenamtliche auf vielfältige Weise zu unterstützen: „Dadurch wächst die Hoffnung, dass der ungewöhnliche Weg, den wir in Widdert seit vielen Jahren gehen, in eine gute Zukunft mit vielen kreativen Akteuren führt.“

Pfarrer Thomas Förster, Pressepfarrer des Kirchenkreises Solingen