Impuls im Omnibusgottesdienst am 16.08.2028 „Alles ist jetzt“


„Wo ist Opa? – Aaron stürmt aufgeregt ins Haus. „Ich muss ihn unbedingt was fragen“ 

„Vermutlich unten am Fluss, wie immer“, antwortet seine Mutter und knetet weiter in Brotteig. „Geh ihn ruhig suchen und bring ihn nachher gleich zum Abendessen mit.“ 

Aufgeregt hüpfend macht sich Aaron auf den Weg. Weit ist es nicht bis zum Fluss, nur an einem der grünen Felder vorbei, und dann ist er auch schon da. Der Großvater ist schnell gefunden, er sitzt auf einem großen flachen Stein und starrt auf das Wasser. 

Als er Aaron sieht, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. 

„Na, Junge. Schön, dass du da bist!“ 

„Was machst du wieder hier am Fluss, Opa? Du guckst immer so traurig. Als ob du geweint hättest…Hast du wieder an früher gedacht, an dein Zuhause in Israel?“ 

Still nickt der Großvater.  

„Mein Zuhause“, murmelt er, „Damals war alles…besser. Und schöner, wir waren frei, konnten tun, was wir wollten, niemand sagte uns, was wir tun und nicht tun dürfen. Aber dann…“ 

„Dann haben die Soldaten aus Babylon Jerusalem erobert, stimmts? Das hast du mir schon oft erzählt, Opa. Und auch, dass ihr verschleppt wurdet, als mein Papa noch ganz klein war. Das ist schon ganz schön lange her.“ 

„Wie mans nimmt“, murmelt der Alte. „Aber die Sehnsucht bleibt.“ 

„Ist Sehnsucht etwas Gutes?“ fragt Aaron neugierig. 

„Ja und nein.“, bekommt er zur Antwort. „Meine Sehnsucht macht mich oft traurig und manchmal lässt sie mich weinen.“ 

„Warum scheuchst du sie dann nicht einfach weg?“ bohrt Aaron nach, „Wenn sie dir doch nicht gut tut, die Sehnsucht? 

„Wenn das mal so einfach wäre.“ Der Großvater schweigt. „Ich denke immer an das, was fehlt. An die Straßen und Häuser meiner Kindheit, an die Feste im Tempel und den Sabbat in der Synagoge, wo wir mit allen zusammenkamen. Und das ist mir wichtig. Das möchte ich nicht vergessen.“ 

„Aber“, fängt Aaron vorsichtig an, „Ich kenne Jerusalem gar nicht, aber ich kenne meine Freunde, die mit mir spielen und lernen, und ich kenne dies große Stadt Babylon mit ihrem riesigen Turm und den Palästen und den hängenden Gärten und die Musik, die dort gespielt wird und ich kenne das Plätschern des Flusses und den Geschmack der Früchte und das leckere Brot, dass Mama backt. Ich brauche gar keine Sehnsucht. Ich bin auch so froh.“ 

Der Großvater lächelt. „Das ist auch gut so, mein Junge. Du hast Recht, es gibt viel Schönes hier, und vieles, wofür wir dankbar sein können. Manchmal vergesse ich das.“ 

„Komisch“, meint Aaron, „Aber das, was so viele Jahre zurück liegt, das vergisst du nicht?“ 

Nachdenklich schaut ihn der Alte an. „Vielleicht ist das bei vielen Erwachsenen so“, meint er dann, „dass wir über all der Sehnsucht nach dem Vergangenen das Heute vergessen. – Aber weißt du, damals, da fühlten wir uns Gott so nahe, alle um uns herum glaubten und gingen in den Gottesdienst und lebten nach Gottes Geboten.“ 

Jetzt plötzlich fällt Aaron seine Frage wieder ein. „Glaubst du, Gott hat uns vergessen, Opa?“ 

„Wie kommst du denn darauf?“ 

„Die alte Rebecca von nebenan hat das heute Morgen ganz laut gerufen und gejammert. Ihr Bruder ist gestern gestorben und er hatte doch so gehofft, seine Heimst noch einmal wiederzusehen.“ 

„Nein, Aaron, Gott hat uns ganz bestimmt nicht vergessen, Gott ist sogar mitgegangen mit uns, als wir mit den anderen Gefangenen den langen Weg von Israel nach hier gezogen sind, viele Tag und Monate lang. – Er war immer bei uns, das konnte ich spüren.“ 

„Ist er auch jetzt hier, bei uns, hier unten am Wasser?“ 
„Ja“, versichert der Großvater, „das hast du mir doch eben selbst erzählt.“ 
„Ich?“ staunt Aaron. 
„Die Frische des Wassers und die wohltuende Stille dieses Ortes, die saftigen Früchte, das knusprige Brot, die Umarmung deiner Mutter, das Spielen mit deinen Freunden, die Blumen, die Musik,  unsere guten Gespräche: Was glaubst du, wer dir das alles schenkt? Jede schöne Stunde, jeden Augenblicke, der dich glücklich macht?“ 

Aaron weiß die Antwort. „Unser Gott, nicht wahr, Großvater? Der, der Abraham in ein neues Zuhause brachte, der Isaak und Jakob behütete und unser Vorfahren aus der Sklaverei in Ägypten führte, von dem kommt all das Gute, oder? – Aber warum ist die Sehnsucht dann immer noch da, Opa?“ 

„Vielleicht, damit wir die Hoffnung nicht verlieren“, murmelt der Alte, „Denn die Hoffnung ist eine Kraft, die uns Augen und Ohren öffnen kann. Ich zum Beispiel habe heute durch die Worte eines kleinen Jungen und durch unser Gespräch eine neue Sicht auf manches bekommen.“ Er lächelt liebevoll. 

„Ich glaube, ich auch“, meint Aaron, „Schreib das doch mal auf, Opa, die Geschichten von Gott und seinen Geschenken, wäre das nicht eine Idee? Dann kann ich die mal meinen Freunden vorlesen.- Und jetzt komm mit, Mama wartet bestimmt schon mit dem Abendessen auf uns!“ 

Und auf dem kurzen Weg ins Dorf kommt dem Alten schon ein Kehrvers für seine Gottes-Geschenke-Geschichte in den Sinn: „Und siehe, es war sehr gut.“ 

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