Pfarrerin Kristina Ziegenbalg
Ev. Kirchengemeinde Widdert
29.Dezember 2020
Liebes Jahr 2020!
Diesen Brief schreibe ich dir an einem deiner letzten Tage.
Viele Menschen sehnen sich danach, dass es endlich mit dir zu Ende geht und freuen sich auf deine Nachfolgerin 2021, die mit so viel Versprechungen und Hoffnung beladen daherkommt.
Wenn ich dich so betrachte, warst du ein ziemlich besonderes, ziemlich anstrengendes Jahr, das viele Tränen mitgebracht hat, viel Wut und Verzweiflung, aber an vielen Stellen auch viel Energie.
In den ersten zweieinhalb Monaten durften wir hier in Widdert viel feiern: die Einweihung unserer neugestalteten Kirche, mein 25-jähriges Ordinationsjubiläum und zwei einzigartige Musicalaufführungen unserer Konfis.
Dann ging es in den Lockdown und wir mussten uns alle umstellen. Unsere Gemeindearbeit veränderte sich, wir lernten, mit körperlichem Abstand füreinander da zu sein. Es gab viel Engagement Einzelner für Nachbarn, Freunde und Bekannte, wir als Gemeinde schrieben Briefe und packten Tüten für Kinder und Familien, und digital angebotene Gottesdienste fanden in den Häusern statt und wurden dort aktiv mitgestaltet.
Viele haben die gewonnene Zeit damals noch genossen und endlich mal Kürmelsecken aufgeräumt oder den Garten neugestaltet. Das schöne Wetter machte es uns leichter, zu Hause zu bleiben.
Schwer war diese Zeit für die, die einen lieben Angehörigen verloren und nicht so Abschied nehmen konnten, wie es gut gewesen wäre.
Irgendwann wurde es etwas normaler, der ein oder andere fuhr in Urlaub und merkte, wie gut es tat, mal was anderes zu sehen. Und kam dankbarer zurück als in den anderen Jahren.
Die Bewerbung unserer kleinen Kirchengemeinde als „Erprobungsraum“ der Landeskirche war erfolgreich, und so machten wir uns ab Juli an die Arbeit, das mit Leben zu füllen. Viele Ideen warten Corona bedingt noch auf ihre Umsetzung, aber Vorfreude hat ja auch so ihre Qualität…
Eine Gemeindebefragung im Frühsommer hat uns noch einmal die Augen für manche Fragestellung geöffnet.
Wir haben einige Gottesdienste auf unserer Wiese feiern dürfen, besonders eindrücklich waren die beiden Gottesdienste für die Schulanfänger, in dem die Kinder von ihren Eltern gesegnet wurden und wir Musik mit Handglocken machen durften.
Die Diskussionen, was man in diesen verschiedenen Monaten jeweils als Mensch und als Kirchengemeinde darf und tun oder lassen sollte, hat enorm viel Kraft gekostet, und oft haben die Entscheidungen auch Beziehungen belastet.
Vielleicht werden wir nie erfahren, welcher Weg der richtige war. Vielleicht lernen wir wie die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft manches aber auch im Rückblick und lernen daraus für zukünftige Krisen.
Schweren Herzens haben wir die Konfirmation auf das kommende Jahr verschoben und die Jahrgänge 2021 und 22 zusammengefasst. Die 29 Jugendlichen treffen sich seit September mit uns per Zoom und haben dort schon großartige Erfahrungen machen dürfen. Und so manches Jungendzimmer und Haustier hätten wir in normalen Jahren nie kennengelernt. 😉
Den vielen Kindern und Jugendlichen in unseren Chören ist der Verzicht auf persönliche Treffen sehr schwergefallen, obwohl Lara und Richard alles gegeben haben, um Corona-konforme Angebote zu machen und den Kontakt zu halten. An dieser Stelle ein großes Lob an alle jungen Leute, die in großer Solidarität diesen Weg mitgegangen sind!
Liebes Jahr 2020, du hast uns auch in unserer Gemeinde einiges abverlangt, vor allem im letzten Quartal, wo wir immer wieder gute Ideen verwerfen und umplanen mussten, Neues angehen und organisieren, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
Du hast aber auch Neues entstehen lassen:
Gottesdienste per Zoom, Pflanzaktionen auf dem Friedhof, tolle Teams, die sich neu zusammengefunden haben, eine Hecke mit Segensbändchen und Impulsen um Nachdenken, Kinderkirch-Gottesdienste fürs Wohnzimmer, Päckchen für Alleinstehende, Telefon- und WhatsApp-Andachten,
einen Tannenbaum vor wunderschön beleuchteten Kirche mit handgemachter Krippe, einen Taschenlampen-Weihnachtsweg und Heiligabend-Gottesdienste, in denen sich Familien aus ganz Deutschland miteinander verbunden haben.
Du warst ein nachdenkliches Jahr für viele, mit neuen Entdeckungen und Erfahrungen, mit Sehnsucht und Schmerz, mit Hoffnung und Perspektiven.
Deshalb sage ich heute: Es ist gut, dass es dich gab!
Ich weiß nicht, ob ich dich ausgesucht hätte, wenn ich die Wahl gehabt hätte, aber das ist auch eine echt überflüssige Frage.
Du bist ein geschenktes Jahr in meinem Leben, das ich aus Gottes Hand angenommen und aus dem ich hoffentlich das Beste gemacht habe. Das, was mir nicht gelungen ist, gebe ich ihm zurück.
Jetzt kann ich dich gehen lassen. Vergessen werde ich dich wohl nie.
Und wo ich dich in der Sammlung meiner Jahre einreihen werde, wird sich noch zeigen.
Adieu 2020, und das heißt „Gott befohlen“!
Mögen wir die guten Erinnerungen an dich bewahren und das andere loslassen können!
Deine
Kristina Ziegenbalg